Issa

Buchseite und Rezensionen zu 'Issa' von Mirrianne Mahn
4.35
4.4 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Issa"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:304
EAN:9783498003906

Rezensionen zu "Issa"

  1. Was für ein besonderes, emotionales und lehrreiches Buch!

    In „Issa“ begleiten wir die gleichnamige Protagonistin in den frühen 2000ern parallel zu ihren Ahninnen - beginnend mit ihrer Ur-Ur-Großmutter Enanga etwa 100 Jahre zuvor. Issa ist am Anfang ihrer ersten Schwangerschaft und wird von ihrer Mutter quasi dazu genötigt, in die Heimat Kamerun zu fliegen und sich dort spirituellen Ritualen zum Schutz der Schwangeren sowie ihres Kindes zu unterziehen. Dort trifft Issa auf ihre Großmutter Namondo und ihre Urgroßmutter Marijoh.

    Mit Issas Figur wird eindrücklich der innere Schmerz einer Suche nach der eigenen Identität sowie das von außen zugefügte Leid in Form von Alltagsrassismus in Deutschland gezeichnet. Sie scheint zu weiß für Kamerun und zu Schwarz für Deutschland zu sein. Ihre Reise im Verlauf des Buches mitzuerleben und zu sehen, wie sie ihren Frieden findet, hat mich sehr berührt. Die Erfahrungen ihrer Ahninnen zentrieren sich vor allem um den deutschen Kolonialrassismus sowie das gewaltvolle Patriarchat zu ihren jeweiligen Zeiten, aber auch ganz besonders um weiblichen Widerstand in verschiedenen Formen.
    Mirrianne Mahn schafft es auf eine bemerkenswerte Art, die Geschichten aller 5 Figuren miteinander zu verweben, denn schließlich sind sie auch tatsächlich verbunden. Die unbeschreiblichen Gewalterfahrungen von Enenga sowie deren Tochter Marijoh, deren Tochter Namondo und deren Tochter Ayudele (Issas Mutter) resultieren in Strenge und Gewalt, die an die jeweiligen Töchter weitergegeben wird. Die Autorin schafft es meiner Meinung nach an der Stelle geschickt, den Traumata zwar Raum zu geben, Gewalt gegenüber Kindern aber nicht zu beschönigen.

    Große Pluspunkte sind für mich der Stammbaum sowie die Landkarte zur Region im Westen Kameruns, in der die Geschichte spielt. Mahn spielt auch mit einem Mix an Sprachen und flicht Worte aus verschiedenen lokalen Sprachen mit ein. Das finde ich einerseits spannend und wichtig, es reißt mich aber trotzdem immer etwas aus dem Lesefluss. Großes Lob daher hier auch für die Umsetzung - Worte, welche im Glossar erklärt werden, sind stets kursiv gedruckt. Dieses einfache Signal hat mir an der Stelle sehr geholfen.

    Der Roman hat mir so viel Wissen vermittelt, das ich beschämenderweise nicht hatte. Er enthält vor allem in Issas Erzählperspektive einen angenehmen Humor und eine liebevolle Skepsis den schamanischen Ritualen gegenüber. Ich persönlich habe keinen Bezug zu Spiritualität, fand die Perspektiven darauf aber sehr bereichernd und ausgewogen. Von den Gewalterfahrungen und den deutschen Kolonialverbrechen zu lesen, tut wirklich weh und das sollte es auch. Gleichzeitig war es einfach nur wundervoll zu sehen, wie die Frauen dieser Geschichte miteinander verbunden sind und solidarisch über Generationen hinweg beieinander stehen - auf ganz verschiedenen Wegen. Manche Perspektiven hätten gerade zum Ende hin noch etwas detaillierter sein können, da ich die Figuren dahinter gern näher kennengelernt hätte. Der Punkt lässt sich in meinen Augen aber gut verschmerzen. Ein wirklich großartiges Debüt!

  1. Eine Reise zu sich selbst

    Issa ist schwanger und befindet sich auf dem Weg nach Kamerun, dem Land ihrer frühen Kindheit. Sie soll dort eine Reihe dringend notwendiger Rituale durchführen lassen, um Unheil von sich und dem Ungeborenen abzuwenden. Die junge Frau kann es selbst nicht fassen, dass sie sich diesem drängenden Wunsch ihrer Mutter fügte und nun diesem „Humbug“ aussetzen wird. Da die Situation in Deutschland aber nicht nur mit ihrer Mutter, sondern auch mit dem angehenden Vater gerade schwierig ist, lässt sie sich auf diese Reise ein. In Kamerun erwarten sie ihre Großmütter, ihr Cousin sowie ein riesiges Netzwerk näherer und entfernterer Verwandter, die alle besucht und beschenkt werden müssen. Hin- und hergerissen zwischen Nähe und Distanz zu den kulturellen Eigenheiten vor Ort, folgen wir Issa auf ihrer Reise, die alles andere als leicht ist. Mit viel Humor, aber zugleich auch ernsthaft, zeigt die Autorin, was es bedeutet in Frankfurt zu schwarz und in Buea zu weiß zu sein.
    Irgendwann überlässt sich Issa dem Fluss der Geschehnisse und merkt lange Zeit nicht, wie sie ihre Erlebnisse und die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Familiengeschichte verändern.
    Neben dem Erzählstrang in der Gegenwart, gibt es einen zweiten, der um 1908 mit der Geschichte von Issas Ururgroßmutter einsetzt und die weiblichen Vorfahren bis zu Issas Mutter in den Fokus stellt. Das Leben dieser Frauen war geprägt von Schmerz, Gewalterfahrungen, aber auch Stärke, Mut und Lebenswillen. Sehr dicht erzählt Mahn von deutscher Kolonialherrschaft, Vergewaltigung, Unrecht, Verlust, von patriarchalen Familienstrukturen und deren Auswirkungen, der Sehnsucht nach Bildung und Unabhängigkeit.
    Ich habe dieses Debüt sehr gerne gelesen. Inhaltlich bereichert es durch den historischen Kontext, aber auch die zahlreichen kulturellen Einblicke. Darüberhinaus war es interessant, Issa in ihre innere Welt mit ihren Widersprüchen und Selbstzweifeln zu folgen. Bei einigen Szenen musste ich schmunzeln, bei anderen war ich tief bewegt. Der Roman lässt sich leicht lesen, erzeugt lebendige Bilder vor dem inneren Auge, ist kurzweilig und geht in die Tiefe. Großartig!

  1. "Überall bin ich anders..."

    „Issas Geschichte ist meine Geschichte und gleichzeitig ist sie fiktional. Nicht alles darin ist wahr, aber alles daran ist echt“, so sagt die Autorin.
    Sie hat in ihrem Debutroman bewußt die Begriffe Kolonialismus und Rassismus ausgeklammert und trotzdem ist davon die Rede.
    "Ein großer Stein lastet auf ihrer Brust, wenn sie durch deutsche Straßen geht, ein Stein der Angst. "

    Issas Wurzeln liegen in Kamerun, einer ehemaligen deutschen Kolonie, in der schwarze Menschen als Diener der Weißen mit einem Brandmal auf der Hand unauslöschlich gekennzeichnet wurden, wie Vieh. Ihre Urgroßmutter entstand aus einer Vergewaltigung durch einen Deutschen an einem 11jährigen Mädchen.
    Als Issa selbst schwanger ist, wird sie von ihrer Mutter dazu gedrängt, sich den animistischen Ritualen der Ahnenverehrung, die in weiten Teilen Zentralafrikas herrschen, zu unterziehen.
    Während dieser Zeit erzählt ihr ihre Urgroßmutter von den Schicksalen der Frauen ihrer Familie.
    Das Leben aller war bestimmt durch die Herrschaft des Wollens und Trachtens der Männer.
    Der jungen Issa ist während ihres Aufenthalts in Kamerun und im Laufe der mehrwöchigen Rituale, zu denen sie eigentlich keinen Zugang hatte, bewußt geworden, dass sie sich nicht zwischen den Kulturen entscheiden muss, sie kann beides sein. Sie hat erkannt, dass sie die Wahl hat, sich selbst zu schätzen, sich zu achten und sich zu lieben.

    Dieses Buch erlaubt einen Blick in das Innere einer ganz anderen Gesellschaft.